Programmtic Advertising in Verlagen: Gewusst wie

Norbert Ohl äußert sich kritisch zum neuen Trendthema

An Programmatic Advertising scheiden sich die Geister. Es ist die Frage nach Mensch oder Maschine. Nach Bauchgefühl oder hyperrationaler Entscheidung. Die beste Lösung für Verlage liegt in der Mitte. Liebe Verlage, bleiben Sie kritisch: Behalten Sie Ihr wertvollstes Inventar im Haus. Geben Sie es nicht an Dritte. Warum? Hier fünf Gründe, warum Programmatic Advertising alles andere als der Königsweg für Verlage ist.

1. Der Löwenanteil des Ertrags landet bei den Agenturen. Eigentlich schade. Die Idee, das verkaufbare Werbeinventar vom Verlag an eine Agentur zu geben und ohne eigenes Dazutun im Gegenzug Einnahmen zu erzielen, ist traumhaft – geradezu verlockend. So erklären sich auch die Zahlen unterschiedlicher Meinungsinstitute, die allesamt ein großes Wachstum für Programmatic Advertising prognostizieren. Die schöne Vorstellung vom Umsatz ohne Arbeit wird bei genauem Hinsehen jedoch schnell zum Albtraum für Verlage. So analysierte Neil Thackray, Mitbegründer von Briefing Media Ltd. und erfahrener Branchenkenner, dass aus einer Agenturdienstleistung schnell eine verhängnisvolle Abhängigkeit wird. Dann nämlich, wenn Verlage das klassische Anzeigengeschäft mit seinen rund 85 Prozent Umsatzerlösen verlassen und Agenturen die programmatische Vermarktung des Anzeigeninventars übernehmen. Nach Thackrays Berechnung sinken die Erlöse in diesem Fall auf 30 Prozent. Tendenz weiter fallend. Warum? Wer einmal abhängig ist von externen Dienstleistern, dem fehlen schnell Argumente in den Verhandlungen. Ein Schreckensszenario.

2. Das verkaufbare Inventar ist das größte Gut von Verlagen. Laut einer Schätzung von Magna Global wird bereits 2017 ein Drittel der Werbeplätze in Deutschland programmatisch gehandelt. Erfolge sind schon heute nicht mehr von der Hand zu weisen. Daten über die Leser, die Kunden des Verlags, gibt es in großen Mengen. Der Kunde ist bekannt, beinahe gläsern. Dazu steht leistungsfähige Hard- und Software zur Verfügung. Lernende Algorithmen –
die neue Generation der Mitarbeiter – und skalierbare Cloud-Infrastrukturen unterstützen bei der Analyse der Daten in Echtzeit und überführen die Informationen direkt in Handlungsanweisungen. Das Gute ist: Diese Daten- und Technikinfrastrukturen sind in den Verlagen bereits vorhanden. Wer für Programmatic Advertising sein verkaufbares Inventar an Externe gibt, geht ein hohes Risiko ein – und macht einen Fehler.

3. Anzeigenkunden sprechen nicht mit Algorithmen. Wer seine Anzeigenplätze aus den Händen gibt, verliert auch den direkten Kontakt zu seinen Anzeigenkunden. Hyperrationale Algorithmen ersetzen menschliche Empathie. Das kann nicht die Zukunft sein, die sich Verleger wünschen. Nicht für die Premium-Anzeigenplätze und erst recht nicht für den lokalen Bereich. Dort geht es um Kundennähe, Klinkenputzen und persönlichen Kontakt. Für Regionalverlage liegt im hyperlokalen Anzeigengeschäft ein riesiges Potenzial, das nur über den persönlichen Verkauf voll ausgeschöpft werden kann. Automatisierung ist unabdingbar. Die Auswertung von Datenpools das Gebot der Stunde. Nur dürfen sich die Verlage von Agenturen nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Restplätze in die Fremdvermarktung und in Bidding-Verfahren zu geben, ist jedoch wunderbar. So können unter Umständen deutlich höhere Erlöse erzielt werden, als wenn dieses Inventar vom Verlag gehandelt wird.

4. Vertriebsverbünde erweitern das digitale Inventar. Verlage sind keine Einzelkämpfer. In Interessensverbänden und Mediengruppen treten Verlage als Schwergewichte in der Medienbranche auf. In diesen Zusammenschlüssen ist es den Einzelnen möglich, die Umsatzerlöse zu maximieren. Je größer das Inventarvolumen, desto größer sind die Vermarktungserfolge. MADSACK oder die RP ONLINE machen es bereits erfolgreich vor. Das Inventar aller Angebote steht Anzeigenkunden gebündelt zur Verfügung. Das schafft Mehrwert. Vertriebspartnerschaften sind neben der Datenanalyse die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg des internen Programmatic Advertising. Mein Appell an die Verlage: Nutzen Sie die zahlreichen Vorteile des Programmatic Advertising und kombinieren Sie diese mit hervorragend geschulten Media­beratern sowie einem fundierten Yield Management zur Ertragsoptimierung der digitalen Anzeigenplätze und stellen Sie sich gegen Drittanbieter auf, die Ihnen Ihren Anteil vom Kuchen streitig machen wollen.

Ganz wichtig: Es geht nicht darum, eine Festung zu errichten oder sich neuen Technologien zu verschließen. Programmatic Advertising ist gut, wichtig und richtig. Ob Programmatic nun Heilsbringer oder eine riesige Herausforderung ist –
die Technologie ist da. Zu Recht. Nur alle Daten, das Inventar und die Kunden an externe Agenturen zu geben, für die ein Verlag nur einer von vielen Kunden ist, das ist falsch und kurzsichtig. Das wäre ein weiterer Schritt in die falsche Richtung.

5. Lernen aus der Vergangenheit. Zu häufig wurde in der Vergangenheit neuen Playern das Feld zu leicht überlassen. Face­book und Google sind nur zwei der Beispiele. Das darf der Verlagsbranche auf keinen Fall wieder passieren. Viele Studien zum Thema Programmatic Advertising wurden von Google in Auftrag gegeben. Auf Symposien und Veranstaltungen sprechen heute beinahe ausschließlich Agenturangehörige über Programmatic Advertising. Nicht die Verleger. Ein Trend, den wir gemeinsam stoppen müssen. Ich plädiere daher für eine interne Datenauswertung, eine interne Vermarktung vom Inventar über Vertriebsverbünde hinweg und somit für ein internes Programmatic Advertising. Darin sehe ich die Zukunft der Verlage.

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